Donnerstag, 11. Februar 2016

Paradox

Angenommen du möchtest auf einen hohen Berggipfel. Nicht aus sportlichen Erwägungen – nein – du willst lediglich auch einmal ganz oben sein.

Du hast zwei Möglichkeiten: Du kannst mit dem Lift hinauffahren oder über einen Gletscher gehen, wo tiefe Gletscherspalten lauern.
Die Entscheidung ist leicht, wirst du denken.
Irrtum!
Viele – fast schon eine Mehrheit! – sagen: „Der Lift ist gefährlich, das Seil könnte reißen oder man kann hinunterfallen, oder …“ – Diese Vielen gingen also lieber in die Gletscherspalten.

„Dumm.“ sagst du? Vielleicht. Aber Angst verleitet zu paradoxen Entscheidungen. Und vor Dummheit warnen wäre auch paradox, weil Dummheit keine Warnungen versteht.

Jedenfalls kommen fremde Leute zu uns und das bringt Probleme. Es gibt zwei Möglichkeiten: Man kann sie kennen lernen und dann entscheiden, ob sie einem was tun (denn sicher sind da auch ein paar Arschlöcher dabei) – oder man schickt sie irgendwohin, auf dass einige von ihnen wieder zurückkommen (und das sind dann sicher genau diese Arschlöcher). Die Netten bleiben wo anders.

Paradox.

Da soll ein Flüchtlingsquartier entstehen. „Gefahr! Angst! Überfälle, Mord, Vergewaltigungen, Raubzüge – alles schon einmal da gewesen!“ rufen die Panikmacher bevor noch ein einziger Flüchtling eingezogen ist. Eine Bürgerwehr formiert sich. Ob die eigentlich auch die Flüchtlingskinder vor einheimischen Missbrauchstätern schützt?

Es gab Übergriffe und Vergewaltigungen durch Asylwerber. Daher müssen alle verbannt werden, denn damit sind wir die potentiellen Täter automatisch los. Was ist jedoch mit den „inländischen“ Kinderporno-Konsumenten, den Missbrauchstätern in so manchen Familien, den ehelichen Gewalt- und Vergewaltigungstätern und den Cyber-Kriminellen? Der Logik folgend müssten daher auch alle Inländer weggeschafft werden, damit wir lückenlos die bedenkliche Dunkelziffer an Tätern loswerden (diesbezügliche Statistiken sind erschreckend!).

Paradox.

„Die Mindestsicherung für Flüchtlinge soll gekürzt werden!“ rufen die, die eh schon wenig oder nichts haben.
Politiker und Reiche finden diese Idee grandios. No na – das ist gut für sie.
Abgesehen davon nämlich, dass die Flüchtlinge, die man noch rausschmeissen könnte, sowieso keine Mindestsicherung kriegen, werden die nötigen Aufwändungen (ohnehin ein minimaler Bruchteil des Budgets!) eben von wo anders abgezweigt, nämlich vom restlichen sozialen Netz (z.B. Mindestlöhne, Bildung u.s.w.). Das heißt: Die, die eh schon wenig oder nichts haben, wollen bei sich selber kürzen.

Paradox.

Ok – ja, ich verstehe – es hängt von den Arbeitsplätzen ab und wie man hört nehmen die Flüchtlinge Arbeitsplätze weg. Wieso wurde diese Mindestsicherung dann schon vor der Flüchtlingswelle eingeführt? Waren da die Arbeitslosen selber schuld?

Und außerdem: Man unterscheidet pro forma zwischen Kriegsflüchtlingen und Wirtschaftsflüchtlingen. Erschossen werden ist wohl schlimmer als verhungern.
Kriegsflüchtlinge sind arm und wollen ihren Kopf retten. Wirtschaftsflüchtlinge hingegen wollen nur mitnaschen und bei uns arbeiten, also für ihre Existenz etwas leisten (das kann man bei uns nämlich noch).
Leider wird es eine Weile dauern, bis es sich endlich herumgesprochen hat: Eine belebte Wirtschaft kann in Wahrheit Arbeitsplätze schaffen. Trotzdem schmeißen wir die wieder raus, die beleben könnten und lassen die bei uns, die so lange durchgefüttert werden wollen, bis bei ihnen zu Hause der Krieg aus ist.
Das heißt: Wir verjagen wirtschaftliches Potential und behalten die, die was kosten, damit keiner sagen kann, wir wären unmenschlich (und das wäre es auch!).

Paradox.

Und dann gibt es die, die mit Hass-Postings und abnormen Gewaltphantasien gegen andere so tun als würden sie sich Sorgen um unser Österreich machen. Die wollen mit Hass und Gewalt Liebe beweisen? Vergewaltiger tun auch nichts anderes. – Paradox.

Wieso entscheiden sich so viele lieber für die Gletscherspalten statt für den Lift? Wer unser Land angeblich so liebt wie das Leben sollte keine Angst davor haben, dass vielleicht auch einmal ein Seil reißen könnte.

Ja, Angst kann teuflisch sein.


Richtet es aus den angeblich „Heimattreuen“, denn mit dem Schaden, den die anrichten sind sie selbst so paradox wie ihre Angstmache.