„Ich wäre so gerne berühmt. Die Gelegenheit ist günstig.
Gerade jetzt, wo die Kanzeln für Sündenverkünder gesperrt sind, die Bierzelte für
Scharlatane geschlossen bleiben, die Schauspieler, Kleinkünstler und Sänger
kein Publikum um sich scharen können, die Stadien frei sind vom stänkernden, mobbingaffinen
Mob, die Ernsthaftigkeit der Konzertsäle in gähnender Leere verhallt – gerade
jetzt hätte einer wie ich seine Chance. Und die muss ...“
„Die Frage war aber, wie gehen Sie persönlich mit Quarantäne
um.“
„Ich sage ja: Da muss ich die Chance nützen. Die Menschen
sind anspruchsloser geworden. Sie sind froh, wenn es überhaupt etwas gibt.
Jetzt treffe ich sie zu Hause an, sie laufen nicht davon, und wenn sie es tun
wollen, schickt sie die Exekutive wieder nach Hause.
Jetzt sind sie nicht abgelenkt von anderen Dingen, jetzt
sind sie empfänglich für Botschaften. Jetzt entgleiten sie mir nicht oder scharen sich um die, die schon berühmt sind.
Jetzt sind sie ...“
„Wie schützen Sie sich vor dem gefährlichen Virus? Halten
Sie die Abstände ein?“
„Wenn es etwas Neues gibt haben sich die Leute nicht darum
geschert. Wenn sich niemand für mich interessiert hat, konnte ich noch sagen:
‚Die Leute stellen sich nur an.‘ Heute stellen sie sich an, wenn’s wo was zu
kaufen gibt, da stehen sie Schlange, um was zu erhaschen. Sie stellen sich an
für Medikamente, für alles Mögliche - oder für Nudeln und so weiter. Wer bitte,
wer ist früher einer Zehnerpackung Häuselpapier nachgelaufen?“
„Wir wollen in unserer Straßenbefragung eigentlich nur
wissen, ob Sie unter den derzeitigen Umständen leiden und wie Sie damit
umgehen.“
„Sehr richtig. Die Menschen beginnen wieder auf das
scheinbar Unwesentliche zu achten. Also vielleicht auch auf mich. Wann, wenn
nicht jetzt? Vor wenigen Wochen wurde der Reset-Knopf gedrückt und jetzt steht
alles auf Null. Gleiche Chancen für alle. Diese Chance möchte ich nützen.“
„Wie sehen Sie die Zukunft?“
„Schaun Sie, noch vor Wochen konnte man sich als goscherter
Hochstapler mit einer b’soffenen G’schicht‘ zum Opfer stilisieren und weltweit
Aufmerksamkeit erregen – so lange, bis
bei dem der Groschen fällt - und er schön die Goschen hält‘. – Ich
habe ...“
„Verzeihung, aber ...“
„Ja ja, mir fallen immer wieder so kleine Verse ein. Jetzt
arbeite ich an einem Lied. Der Refrain geht so:
Ich möchte so gerne
berühmt werd’n,
und bitte womöglich
noch vor’m Sterb’n.
Der Wunsch ist –
genauer betrachtet –
nur der, dass man mich
auch beachtet.
Es reicht nicht das
Loben und Liken –
Man soll, was ich
sage, verbreiten!
Und da können Sie das Versmaß genau kontrollieren. Da stimmt
alles. So ein Kleinod dichterischer Talentprobe darf heutzutage nicht
untergehen.“
„Das ist ja sehr beeindruckend, aber waschen Sie sich auch
regelmäßig die Hände?“
„Wer sind denn jetzt die Helden? Die, die früher keiner
beachtet hat. Die Supermarktkassiererin, die Regalschlichter, die Ärzte, die einst
als golfspielende Götter in Weiß verunglimpften wurden, die Krankenpfleger mit
schlechten Deutschkenntnissen, die faulen Lehrer, die sich endlich vorrangig mit
Bildungsvermittlung beschäftigen dürfen, während es so manchen Eltern dämmert, dass sie nicht nur erziehungs“berechtigt“,
sondern auch erziehungs“verpflichtet“ sind. Das Gleichgewicht wird wieder
hergestellt.
Warum sind die plötzlich alle Helden? Die machen ihren Job
wie vorher und sind nicht arbeitslos geworden wie viele andere. Deswegen
braucht man doch nicht gleich übertreiben. Der Unterschied ist nur: Man kommt jetzt
drauf, dass das, was sie tun, nicht selbstverständlich ist und dass sie an
angreifbarer Front stehen.“
„Wie oft gehen Sie einkaufen?“
„Jetzt beklatschen wir diese Helden vom Balkon aus und
kommen uns gut, gerecht und solidarisch vor. Wäre man schon vor diversen Krisen
gut und gerecht gewesen, hätte es viele Krisen gar nicht gegeben. Menschen, die
Wertschätzung äußerten, wurden nicht gehört. Das wäre zu wenig bombastisch
gewesen. Aber jetzt ...“
„Sagen Sie, hören Sie mir eigentlich zu?“
„Die Menschheit ist die Drama-Queen der Schöpfung. Man muss immer
Gutes tun und dafür natürlich Kollateralschäden in Kauf nehmen. Gutes tun kann
wie ein Virus sein. Vor lauter „Gutsein“ übersieht man die Wirkung. Schon seit
Jahrtausenden besteht der Glaube, dass man sich für das Gute ans Kreuz nageln
lässt, für das „Gute“ sprengt man „das Böse“ in die Luft, man führt Kriege, man
mordet, man vernichtet – andere Menschen, andere Lebewesen, die ganze Natur und
damit sich selbst. Schaun Sie sich doch einmal ...“
„Haben Sie Angst um die österreichische Wirtschaft?“
„Schaun Sie sich doch einmal unsere Wirtschaft an. Bei den
Tieren ist das einfach. Die sagen sich: Was ich brauche, das nehme ich mir.
Fertig. So entsteht Gleichgewicht. Die Menschen wollen mehr als sie brauchen.
Das kann nicht funktionieren.“
„Das klingt ja schon philosophisch. Sind das die Anliegen,
die Sie unseren Hörern mitteilen wollen?“
„Wieso ‚Hörern‘?“
„Wir sind vom Radiosender ...“
„Radio? Das hört doch keiner. Ich dachte, Sie sind vom
Fernsehen.“
„Wieso ist das für Sie wichtig?“
„Ich will ja berühmt werden.“
„Da sollten Sie sich im Internet umtun.“
„Meinen Sie? Was bringt mir das, wenn mich keiner
weiterschickt?“
„Probieren Sie es mit Kettenbriefen, die aussehen, als wären
es Menschlichkeitsaufrufe.“
„Und das funktioniert?“
„Und wie! Sie glauben gar nicht, welch strunzdumme Aufrufe
es da gibt! Das wäre doch was für Sie.“
„Was muss ich da tun?“
„Am Anfang schreiben Sie, dass es die Wertschätzung
verlangt, den Beitrag bis zu Ende zu lesen. Dann beklagen Sie die Schicksale
bei Pest, Cholera oder Krebs – das Jammern liegt Ihnen ja offenbar - und dann
suggerieren Sie, dass es die Menschlichkeit verlangt, das Posting
weiterzuleiten. Und da sich gerade in Zeiten wie diesen keiner nachsagen lassen
will, unmenschlich oder gefühlskalt zu sein, wird das Ding brav weitergeschickt.“
„Und was habe ich davon?“
„Das Gefühl, beachtet worden zu sein. So wie Sie es in Ihren
Versen beschrieben haben.“
„Das ist aber wenig ...“
„Das waren aber Ihre Worte. Was wollen Sie denn noch?“
„Berühmt werden. Ich will, dass die Leute sagen: Wow, der
ist gut!“
„Gut? - Dann lassen Sie sich ans Kreuz nageln. Wetten,
Sie werden berühmt?“
„Ich will, dass die Leute gerne und freiwillig lesen, was
ich schreibe...“
„Dann sollten Sie aber warten, bis die Kanzeln, die
Bierzelte, die Theater, die Stadien und die Konzertsäle wieder offen haben.“
„Wozu?“
„Sie müssen den Leuten die Wahl lassen.“
„Aha ... und ... war das so verkehrt, was ich vorhin gesagt
habe?“
„Keine Ahnung. Ich habe Ihnen genauso wenig zugehört wie Sie
mir. Sie haben auf meine Fragen nicht geantwortet.“
„Wozu? Ihre Fragen waren so was von flach und uninteressant!“
„Sehen Sie – damit habe ich Ihnen keine Wahl gelassen, und
Sie mir auch nicht. Was wollen Sie jetzt von mir?“
„Machen Sie mich berühmt.“
„Im Radio?“
„Auch wieder wahr. – Dann stelle ich dieses Gespräch ins
Internet und hoffe, dass wenigstens einige Leute das weiterleiten.“
„Da hätten Sie aber am Anfang sagen müssen, dass man das bis
zum Schluss lesen soll. Die meisten sind doch schon spätestens in der Mitte
ausgestiegen.“
„Glauben Sie? Warum?“
„Weil der Text ein fürchterlicher ... na ja – sagen wir so:
Damit werden Sie nicht berühmt. “
„Echt jetzt?“
„Ja, echt. Aber es besteht Hoffnung. Die Leute reagieren
mittlerweile auf jeden – Verzeihung - Schas.“
„Und was soll ich jetzt tun?“
„Vergessen oder weiterleiten.“
„Und Sie?“
„Ich mache jetzt ein anderes Interview und achte auf
Abstand.“
„Na schön. - Aber das Lied wird gut! ... Nicht nur liken – weiterleiten! – Und
wenn du es nicht weiterleiten möchtest, dann teile mir das mit...“